Selbstfürsorge ist kein Luxus, sondern Voraussetzung ... !

Felicitas bedeutet „die Glückliche“ oder „die Glückselige“. Vielleicht ist es kein Zufall, dass „Feli“ Jalsovec sich in unserem Team besonders dafür stark macht, was Kolleg*innen und Unterstützende benötigen, um bei ihrer Arbeit resilient, zufrieden und letztlich glücklich zu sein. Was ihr dabei wichtig ist, lest Ihr im Interview.

Was sind Deine wesentlichen Aufgaben als Regionalkoordination –
und wo siehst Du die Besonderheiten in Berlin und Brandenburg?

Ich bin verantwortlich für die Entwicklung und Umsetzung bedarfsorientierter Angebote zum Thema Mentale Gesundheit in der Region und zentrale Ansprechperson für die Mitarbeitenden auf allen Ebenen – auch in Richtung des Malteser Hilfsdienstes (MHD), z.B. dem Integrationsdienst oder der Ankunfts- und Notunterkunft in Berlin-Tegel (ANo TXL). Ich vertrete dabei Kooperationsprojekte wie IPSO und krisenchat Ukrainian und unterstütze die Verbreitung von Hilfsangeboten für haupt- und ehrenamtliche Mitarbeitende, wie My7Steps oder auch unsere eigenen Veranstaltungen. 
Ein großer Teil meiner Arbeit in Berlin besteht in der Vernetzung. Besonders ist hier, dass wir zumindest in Berlin keine „eigene“ Malteser Werke Unterkunft betreuen und dadurch schon von Anfang an verstärkt die Zusammenarbeit mit dem MHD und anderen Organisationen gesucht haben. Dadurch konnten wir großartige Veranstaltungen wie Kindertage, Wohnzimmerkonzerte oder Kreativangebote außerhalb von Unterbringungseinrichtung umsetzen. In so einem offenen Rahmen kommen viele Menschen zusammen, die sich sonst nicht begegnen würden. Dadurch entstehen ein wertvoller Austausch und Begegnung auf Augenhöhe. 

Wie bist Du ins Projekt gelangt und wo führt Dich Dein Weg hin, mit den dort gewonnenen Erkenntnissen?
Ich habe im Dezember 2020 beim MHD in Berlin angefangen – zunächst nur für drei Monate im Corona-Impfzentrum. Es war mitten in der Pandemie, ich kam gerade aus Kanada zurück und suchte einen Job mit Bezug zu meinem Master in Nonprofit-Management. Als das Impfzentrum Ende Februar 2022 schloss, hatte ich bereits eine neue Stelle in der Öffentlichen Verwaltung und war eigentlich ganz zufrieden, bis die groß angelegten Invasion Russlands in die Ukraine begann. Direkt ab März 2022 erfolgte der Aufbau des Ukraine-Ankunftszentrums mit 6.500 Plätzen in Berlin-Tegel. Ich kündigte meinen Job kurzerhand und fing im April wieder bei den Maltesern an. Dadurch war ich von Anfang an dabei und konnte die intensive Aufbauphase der ersten sechs Monate begleiten – eine Zeit, die mich sehr geprägt hat. Meine Aufgabe war der Aufbau des Malteser-Personals und alle Personalfragen vor Ort. Dabei erlebte ich hautnah, wie belastend diese Arbeit für viele sein kann – und wie die eigene mentale Gesundheit oft auf der Strecke bleibt.
Das hat in mir den Wunsch geweckt, mehr für die Menschen zu tun, die tagtäglich helfen – die Zeit zu haben, ihnen zuzuhören, sie zu stärken und im Alltag zu begleiten. Als ich dann von dem Projekt Mentale Gesundheit / Ukraine-Hilfe erfuhr, hatte ich sofort das Gefühl: Das passt viel zu gut! Heute denke ich manchmal, dass alles wohl so kommen sollte... 

Welche Schwerpunkte haben sich für Dich im Team Mentale Gesundheit / Ukraine-Hilfe ergeben?
Von Anfang an habe ich mich stark mit den Mitarbeitenden identifiziert, die in einem belastenden und emotional herausfordernden Umfeld arbeiten. Meine Rolle im Team ist es daher, besonders die Mentale Gesundheit der haupt- und ehrenamtlichen Kolleg*innen im Blick zu behalten. 
Dabei fragen wir uns immer wieder: Wie erreichen wir die Teams wirklich mit diesem Thema? Und was hilft ihnen ganz konkret im Alltag, um langfristig entlastet und handlungsfähig zu bleiben? Wir sind dabei im Team überzeugt: Nur wenn die Mitarbeitenden gut für sich selbst sorgen, können sie auch andere wirkungsvoll unterstützen. Selbstfürsorge ist kein Luxus, sondern eine Voraussetzung für nachhaltiges Engagement, Resilienz und echte Begegnung auf Augenhöhe!
In den letzten 2,5 Jahren im Projekt habe ich gemerkt, dass die Mentale Gesundheit im Arbeitsalltag in ihrer Bedeutung oft unterschätzt wird. Dabei beginnt es schon bei kleinen Dingen: regelmäßig Pausen machen, sich aus belastenden Situationen zurückziehen oder wahrnehmen, wenn private Herausforderungen die Arbeit beeinflussen. Sobald Mitarbeitende erleben, dass Selbstfürsorge ihre Arbeit positiv beeinflusst, wächst oft auch die Bereitschaft, die eigene mentale Gesundheit stärker zu priorisieren.
Gemeinsam mit IPSO haben wir aus diesem Grund früh die sogenannten Impulsworkshops ins Leben gerufen, die für alle offen sind. Im Mittelpunkt stehen dabei immer der thematische Austausch und die Frage: Wie kann ich gut für meine eigene Mentale Gesundheit sorgen? Ich freue mich sehr, dass inzwischen immer mehr Kolleg*innen auf die Workshops aufmerksam werden und wir mit den verschiedenen Themen viele Menschen erreichen. 
Ein weiterer Schwerpunkt von mir im Projekt ist auch die Zusammenarbeit mit KUNST GRENZENLOS, welche seit Beginn des Jahres unter dem Motto „Kunst tut gut“ auch offiziell mit vielen Synergien weitergedacht wird. Ich freue mich unglaublich auf die Ausstellungen im September in Berlin und Oktober in München, wo ich die Projektleitung Sinan Yaman unterstützen werde. 

Woraus schöpfst Du Hoffnung – gerade auch angesichts der sich immer schwierigeren politischen Situation und gesellschaftlichen Stimmung in Bezug auf Geflüchtete?
Die Frage begleitet mich tatsächlich schon sehr lange. Die Antwort darauf finde ich vor allem im Kleinen. So sehr ich mir wünschen würde, die Welt von heute auf morgen verändern zu können, geben mir vor allem die Menschen um mich herum Kraft, die tagtäglich mit mir aufstehen und sich für eine offene, empathische und vielfältige Gesellschaft einsetzen. Dazu gehören unser Team, das aus unglaublich besonderen Persönlichkeiten mit zum Teil eigenen Fluchtgeschichten besteht, von denen ich viel lernen durfte. Auch zahlreiche Kolleg*innen, mit denen wir gemeinsam Projekte und Veranstaltungen gestalten, geben mir Halt und Motivation.
Besonders kraftvoll sind für mich die Begegnungen mit den Menschen, die hier in Deutschland Schutz und Hoffnung suchen. Mir wird immer wieder bewusst, mit welchen Talenten und Ressourcen sie zu uns kommen und wie viel ich in den letzten Jahren durch sie lernen durfte. So herausfordernd und frustrierend das System manchmal ist, so wertvoll und bereichernd sind die Gespräche mit all diesen Menschen, die meine Arbeit bei den Maltesern in den letzten Jahren geprägt haben.
 

„ein anderes Kind geworden“

Von Superheroes, prägenden Begegnungen und ganz viel Liebe – der erste Kulturaustausch für Jugendliche aus der Ukraine war eine unvergessliche Woche, geprägt von Hoffnung, Freude und neuen Perspektiven in Berlin.

Für eine Woche konnten 22 Jugendliche aus der Ukraine gemeinsam mit dem Team Mentale Gesundheit der Malteser Werke in Berlin von einer Realität Abstand nehmen, die von Krieg, Angst und Unsicherheit bestimmt ist. Berlin wurde für sieben Tage zu einem Ort der Begegnung, des Lachens und der Leichtigkeit – ein Stück Normalität in außergewöhnlichen Zeiten.

„Berlin ist so eine coole Stadt – grün, bunt, offen. Es hat mich an Kyjiw vor dem Krieg erinnert. Ich habe mich hier wie zu Hause gefühlt.“
Jugendlicher, 16 Jahre

Auf dem Programm, das die Berliner Kolleginnen Anastasiia Lotysh, Elen Ambros und Felicitas Jalsovec mit tatkräftiger Unterstützung von Olga Kaida aus Hamburg minutiös vorgeplant und intensiv begleitet hatten, standen unter anderem eine Bootstour auf der Spree, Klettern im Hochseilgarten, ein Besuch in der Kuppel des Bundestages und ein Kennenlernen der Technischen Universität Berlin. Ein Kochabend sowie ein Abend mit Grillen und kreativen Workshops wurde gemeinsam mit deutschen Jugendlichen organisiert und sorgten für viel Austausch und neue Kontakte. Jeden Tag legte die Gruppe 12.000 bis 18.000 Schritte zurück, fand abends noch die Energie zum Tischtennis oder Volleyball, genoss die Magie des gemeinsamen Singens zu Gitarrenmusik am Lagerfeuer. Am meisten zählte das Gefühl, einfach Jugendliche zu sein und Spaß haben zu dürfen.

 

„Es war die beste Woche in meinem ganzen Leben.“
Jugendlicher, 16 Jahre

„In den letzten drei Jahren hatte ich ständig Panikattacken – endlich konnte ich mich entspannen.“

„Hier habe ich völlig die Luftalarme und den Krieg vergessen. Ich konnte jede Nacht in Ruhe schlafen und einfach die Zeit genießen – mit Freunden, Freude und Spaß.“
Jugendliche, 13 Jahre

 

Diese beispielhaften Stimmen erzählen von Vertrauen, das binnen kürzester Zeit entstand, von Hoffnung, die aufleben konnte und von sicheren Orten, an denen es möglich war, durchzuatmen. Für viele war es nicht nur ein Ausflug, sondern ein emotionales Innehalten, ein entspannender Moment fernab des von Stress geprägten Alltags. Zwischen den Jugendlichen, die sich zuvor nicht kannten, entstanden echte Freundschaften. 


“Ich bin so glücklich, dass wir so ein freundschaftliches Team haben. Hier fühlt sich jeder wichtig und angenommen – wir unterstützen uns gegenseitig, und es macht einfach richtig Spaß und Freude, Zeit miteinander zu verbringen.“*
Jugendliche, 15 Jahre


“Ich bin unglaublich stolz auf diese Jugendlichen. Es gibt viele verschiedene Kinder – aber in diesem Team ist jedes einzelne ein Volltreffer: klug, verantwortungsvoll, lebendig. Diese jungen Menschen geben unserer Heimat Hoffnung und Vertrauen in die Zukunft.“
Begleiterin aus der Ukraine

So konnte manch Erlebtes verarbeitet werden, sogar heilsame Prozesse wurden in Gang gesetzt.

 

"Wir begleiten ein Mädchen, seitdem es ihren Vater vor einigen Monaten im Krieg verloren hat. Wir haben es hier während des Camps das erste Mal wieder lachen sehen. Sie war regelrecht ausgelassen. Sie ist ein anderes Kind geworden."
therapeutische Begleiterin aus der Ukraine

 

Das Erleben von Frieden und Sicherheit, die Begegnung mit Gleichaltrigen und die Wertschätzung vieler Erwachsener stärkten die Jugendlichen darin, an ihre Potenziale und Chancen zu glauben. Natürlich mischten sich Traurigkeit und Angst in die tränenreichen Abschiede.

 

"Ich habe Angst, dass ich nie wieder so eine schöne Woche im Leben erleben kann."

 

Was weit überwiegt, ist die Dankbarkeit für eine Woche voller Lachen, Mut und neuer Kraft. Ein besonderes Dankeschön gilt allen, die diese Woche möglich gemacht haben: die BGV Foundation (Ukraine), MANNA Westend (MHD Berlin), Malteser Jugend Berlin, Be an Angel e.V. und das Bezirksamt Friedrichhain-Kreuzberg.

 

„Danke, dass wir für eine Woche den Krieg vergessen konnten.“

 

Die Woche vermochte einmal mehr den Kern dessen freizulegen, worum es im Projekt Mentale Gesundheit / Ukraine-Hilfe geht.

Wie alles begann

Wer Großes bewegen möchte, braucht eine Vision, viel Herzblut und langen Atem. Als Imke Siefer und Clara Hüttenbrink-Marku die Grundsteine für das Projekt Mentale Gesundheit / Ukraine-Hilfe legten, war einiges noch unklar… aber lest selbst und lernt die „Mütter“ des Projektes kennen.

1. Ihr habt das Projekt „Mentale Gesundheit / Ukraine-Hilfe“ bei den Malteser Werken ins Leben gerufen. Was hat Euch dazu bewogen?

Imke: Die psychosoziale Versorgung ist schon seit vielen Jahren von zentraler Bedeutung bei den Malteser Werken. Seit 2017 können geflüchtete Menschen in vielen unserer Unterkünften die kultursensible Krisenintervention durch Ipso in ihrer Muttersprache in Anspruch nehmen; Mitarbeitende können das Äquivalent My7Steps nutzen. Mit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine standen Fördermittel der Aktion Deutschland Hilft zur Verfügung, die uns erlaubten, das Thema flächendeckender anzugehen.
Clara: Wir arbeiten seither eng zum Thema Mentale Gesundheit zusammen und schon lange war es unser Wunsch, es weiterzuentwickeln. Aufbauend auf unseren bisherigen Erfahrungen entstand die Idee, ein motiviertes Fachteam mit regionalen Verantwortlichkeiten und neuen Perspektiven einzusetzen, das sich auf 'Mentale Gesundheit' konzentriert mit Aktionen, Angeboten sowie Unterstützung für geflüchtete Menschen. Unser Ziel war und ist es immer auch, mithilfe des Projektes, Strukturen zu schaffen, die perspektivisch für alle Zielgruppen zugänglich bzw. hilfreich sind und die Mentale Gesundheit somit zum fest verankerten Bestandteil unserer Arbeit zu machen. 

2. Wie sah der konkrete Weg aus von der Idee bis zur Umsetzung?

Clara: Das ging erstaunlich schnell. Wir ergänzen uns gut und haben seit jeher ein tiefes Vertrauen in unsere jeweilige Fachlichkeit. Imke hatte zu Beginn des russischen Angriffskriegs den Malteser Hilfsdienst in Berlin im Leitungsstab für den Aufbau des Ukraine-Ankunftszentrums in Tegel unterstützt. Entsprechend war sie mittendrin in der Aufnahmethematik für Menschen aus der Ukraine und kannte die Bedarfe genau; Zeit für Projektentwicklung und Antragsstellung blieb jedoch kaum. 
Imke: Gemeinsam mit dem Fundraising und der Abteilungsleitung hat Clara die Antragsstellung vorangebracht und von mir kamen immer wieder aktuelle Einblicke aus der Praxis. Nach über 10 Jahren Erfahrung bei den Malteser Werken war es uns wichtig, uns Zeit für die Auswahl des Teams zu nehmen. Wir haben viele sehr gute Gespräche geführt und sind bis heute dankbar, Tag für Tag mit einem starken Team mit viel interdisziplinärer Fachlichkeit und höchster Motivation zusammenarbeiten zu dürfen! Immer wieder entstehen neue Angebote, angepasst auf aktuelle Bedarfe.

3. Was sind Eure wichtigsten Learnings aus den knapp 3 Jahren Projektarbeit?

Imke: Ein Angebot ist nur dann wert- und sinnvoll, wenn es den tatsächlichen Bedarf deckt und in der Praxis auch umsetzbar ist. Die Menschen in unseren Einrichtungen mit ihren Bedürfnissen gut im Blick zu haben, ist also entscheidend für den Projekterfolg. 
Clara: Die Bedeutung und Chancen der Digitalisierung: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass digitale Lösungen dabei helfen können, Barrieren zu überwinden und Zugänge zu Unterstützungsangeboten unabhängig vom Aufenthaltsort zu schaffen. Vor dem Hintergrund, dass die mentale Gesundheit u.a. ganz entscheidend durch Peer-to-Peer Angebote gestärkt werden kann, ein sehr wichtiges Learning!
Imke: Eine wertschätzende Teamarbeit mit unterschiedlichen Perspektiven, gemeinsamer Vision, gelebter Fehlerkultur und einer offenen, innovativen Haltung kann Berge versetzen! 
Clara: Eine gute Zusammenarbeit mit den Teams in unseren Unterkünften ist wichtig, um die Sichtbarkeit von Projektinhalten vor Ort zu steigern und die Umsetzung zu ermöglichen. Andererseits bedarf es der Offenheit des Fachteams, immer wieder auf dynamische Entwicklungen in den Einrichtungen zu reagieren, da nur so die besten Angebote entstehen können.
Imke: Und ganz klar: Teil einer Organisation zu sein, die diese Offenheit für "neue Wege" mitbringt, ist einfach unfassbar wichtig und sehr viel wert!

4. Welche persönlichen Highlights oder Dinge, die Euch besonders berührt haben, fallen Euch spontan ein?

Imke: Besonders beeindruckend sind für mich unsere Angebote für Kinder und Jugendliche- neben dem „Sorgenbär“ NUKI, der dank der Idee des Malteser Hilfsdienstes nun auch als treuer Begleiter in einigen unserer Betreuungseinrichtungen zu Hause ist, sind es v.a. die Jugendcamps in Zusammenarbeit mit der Malteser Jugend, die mich sehr berühren. Zu erleben, wie Kinder aus Kriegsgebieten gemeinsam mit Gleichaltrigen eine sorglose, fröhliche Zeit verbringen können, ist sehr besonders und erfüllend. Ich hoffe, dass wir dieses Angebot zukünftig weiter aufrechterhalten und sogar ausbauen können! 
Spannend finde ich auch, wie gut unsere digitalen Angebote bei den Menschen ankommen. Unabhängig von ihrem Aufenthaltsort leisten sie Orientierungshilfe und schaffen Verbindung zwischen den Teilnehmenden, z.B. in unseren Ressourcengruppen für Frauen. 
Clara: Für mich ganz persönlich sind auch Aktionen ein Highlight, bei denen Menschen aus verschiedenen Generationen zusammenkommen – da denke ich bspw. an unseren Kinderaktionstag in Hamburg, bei dem Kinder mit Fluchtgeschichte gemeinsam musiziert und Senior*innen aus der Nachbarschaft damit eine riesige Freude gemacht haben. Es ist das Zusammenwirken aus viel Fachlichkeit und viel Herz, was mich begeistert! 
Außerdem bin ich beeindruckt von dem starken Zusammenhalt und der Solidarität im Team, denn obwohl wir die meiste Zeit digital zusammenarbeiten, sind wir alle sehr verbunden miteinander - in unserer Haltung und der Vision, unsere Angebote und Themen rund um die Mentale Gesundheit möglichst vielen (geflüchteten) Menschen zugänglich zu machen!

5. Was sind Eure Ratschläge oder Wünsche für die künftige Arbeit im Bereich der Mentalen Gesundheit?

Clara: Mein größter Wunsch ist, geflüchteten Menschen in Not mit Rat, vor allem aber Tat zur Seite stehen und konkrete Hilfe in Momenten der Hoffnungslosigkeit leisten zu können – immer mit dem Ziel der Unterstützung, Zugang zu ihren eigenen Ressourcen bzw. ihrer Resilienz (wieder) zu finden, die jede*r in sich trägt.
Gleichzeitig ist es essenziell zu verstehen, dass die Gesundheit von Menschen bedeutet, nicht nur körperlich, sondern eben auch mental unversehrt zu sein. Wir sind in Sachen Bewusstseinsbildung sicherlich auf einem guten Weg, es gibt aber noch viel Luft nach oben. 
Imke: Wenn ich mir etwas für das große Ganze wünschen darf, dann natürlich, dass jeder (geflüchtete) Mensch genau die psychosoziale Unterstützung erfährt, die er benötigt – ob nun in Form von Prävention, Krisenintervention oder Therapie. Dass wir uns als Malteser hierfür in der Gesellschaft stark machen und mit diesem Schwerpunkt immer sichtbarer werden, auch bei internationalen Playern wie UNHCR, IOM oder UNICEF, und bei hochkarätigen Veranstaltungen unsere Erfahrungen teilen, ist eine wichtige, motivierende Entwicklung. Es ist allerdings noch ein weiter Weg, besonders in der aktuellen politischen Situation, bis das so wichtige Thema 'Mentale Gesundheit' einen nicht mehr wegzudenkenden Stellenwert eingenommen hat. Und genau hierfür arbeiten wir jeden Tag und versuchen, wo wir können, in voller Solidarität mit geflüchteten Menschen Einfluss zu nehmen und den Menschen eine Stimme zu geben, die nicht gehört werden.
 

"Alles wirkliche Leben ist Begegnung"

Was haben Kindertage, Kreativ-Workshops, Sommerfeste, Kunst- und Gartenprojekte sowie Jugendtreffs gemeinsam? Sie bringen Menschen zusammen! 

Fangen wir von vorn an: Die von Gordon Allport 1954 entwickelte „Kontakthypothese“ besagt: Häufiger und intensiver Kontakt zwischen Menschen aus unterschiedlichen Gruppen fördert positive Gefühle nicht nur zwischen zwei Personen, sondern auch zwischen den anderen Mitgliedern der Gruppen. Gleichzeitig damit werden Vorurteile und allgemeine Aussagen weniger. 

Das ist nur ein positiver Effekt von Angeboten, die Begegnung fördern. Es ist keine neue Erkenntnis, dass Beziehungen zu anderen Menschen guttun, wohingegen von Einsamkeit Betroffene anfälliger sind, z.B. unglücklich, krank und offener für negative Einflüsse zu werden, z.B. Radikalisierung.  

Was ist also zu tun? Es klingt so einfach, Menschen zusammenholen für ein paar schöne Stunden. Doch bedarf es einiger Vorbereitungen und es soll an dieser Stelle nicht verheimlicht werden, dass hinter den Maßnahmen, die wir geplant und oft genug auch verplant haben, einige Arbeit steckt. Hier ein paar Faktoren, die wir als Erfolgsfaktoren bezeichnen würden: 

dazugehören 

Ob beim gemeinsamen Feiern z.B. eines Sommerfestes oder Spielen am Kindertag – das Gefühl, Teil einer Gruppe oder gemeinsamen Aktivität zu sein, verleiht Bestätigung und macht glücklich. Im besten Fall entsteht ein Gefühl, mit anderen etwas gemeinsam zu haben oder neue Kontakte als Basis für Freundschaften. Gemeinsam feiern und Spaß haben hilft, Unterschiede zu überwinden und den Fokus auf Dinge zu richten, die allen guttun. Lachen zum Beispiel. „Am Ende unseres Kindertages mit 90 Gästen ist eine große Gemeinschaft entstanden. Alle waren erschöpft, aber glücklich!“ resümiert Elen Ambros, für die die Vorbereitung nicht ohne Herausforderung, doch lohnend war. 

gemeinsam etwas tun 

Menschen verschiedener Sprache und Herkunft zusammenzubringen, kann im wahrsten Sinne einfacher von der Hand gehen, wenn sie etwas Praktisches tun. Um Hochbeete anzulegen, bedarf es nicht vieler Worte. Das senkt die Hürde und kann dabei zur Brücke für Gespräche werden, gerade wenn es sich um ein kulturell naheliegendes Projekt handelt. Blumenkränze, die in verschiedenen Kulturen vorkommen und für die meisten Menschen mit etwas Schönem verbunden sind, werden so zum Weg, Fahrzeug und Ziel zugleich, und das heißt: „Wir“.  

von Mensch zu Mensch 

„Ich bin nicht allein mit meinen Erfahrungen und Herausforderungen. Anderen geht es genauso. Wir können voneinander lernen, damit umzugehen.“, fasst Anastasiia Lotysh zusammen, warum sie schnell dazu übergegangen ist, Menschen mit ähnlichen Erfahrungen zusammenzubringen. Beispiele wie das online-Erzählformat zu beruflichen Perspektiven mit hunderten von Teilnehmenden oder die noch zaghaften Anfänge des internationalen Jugendtreffs in Berlin zeigen: Grenzen spielen keine Rolle mehr, wenn Gleichgesinnte aufeinandertreffen. „In jeder Gruppe schlummert ein Riesen-Potenzial. Es muss nur geteilt werden“, ist die Psychologin überzeugt.   

sichere Orte 

Aus offenen Formaten kann ein intensiverer Austausch hervorgehen. „Ich habe festgestellt, dass viele alleinstehende Mütter großen Leidensdruck haben. Also haben wir mehrere online-Ressourcengruppen für Frauen gegründet, die in acht Sitzungen und fester Konstellation zusammenkamen. Das hat prima funktioniert!“, berichtet Psychologin Olga Skarzhevska und scheint dabei selbst etwas überrascht, dass es ihr offensichtlich gelungen ist, sogar einen Zoom-Raum zum sicheren Ort werden zu lassen. Das Feedback der Teilnehmerinnen gibt ihr recht: „Zum ersten Mal seit Langem fühlte ich mich gesehen und gehalten. Die Begleitung (…) und die Verbindung mit den Frauen haben mir neue Hoffnung und Kraft geschenkt.“  

Kunst tut gut 

„Auch das gemeinsame Schaffen von Kunst tut gut. Studien belegen, was viele spüren: Kunst trägt zu einem gesunden Leben bei. Sie kann Stress reduzieren, das emotionale Gleichgewicht stärken und psychische Resilienz fördern. Doch das Entscheidende ist: Kunst wirkt nicht isoliert – sie wirkt in Gemeinschaft!“, fasst Sinan Yaman die Philosophie des Projektes Kunst GRENZENLOS zusammen. Diese Wechselwirkung führt zu einer immer engeren Zusammenarbeit mit dem Projekt Mentale Gesundheit.  

Im Zuge all dessen ist uns klar geworden: Es kann nicht genügend Begegnung geben. Oder anders ausgedrückt: "Alles wirkliche Leben ist Begegnung. Wenn wir aufhören, uns zu begegnen, ist es, als hörten wir auf zu atmen." Dann halten wir es doch mit Martin Buber und atmen weiterhin tief durch. 

 

Gemeinsam spielen verbindet

Frage: Wie können psychisch belastete junge Menschen mit ihren inneren Ressourcen und anderen Jugendlichen in Kontakt gebracht werden? Antwort: Indem man ihnen dort, begegnet, wo sie sich am liebsten aufhalten: in digitalen Spielwelten zum Beispiel. Gamification nennt man das wohl. 

Dimitri beginnt seine Reise in einer unberührten Landschaft. Er sammelt Holz, Steine und anderes Material, stapelt sie in Blöcken übereinander und erschafft so eine kleine Hütte. Er schließt das Dach, um sich vor Regen, den Gefahren der Nacht und feindlichen Kreaturen zu schützen. Mit Fackeln beleuchtet er den Innenraum und baut eine Tür ein, die seinen sicheren Zufluchtsort verschließt. Schließlich gräbt er im Inneren einen unterirdischen Raum, wo er seine wertvollen Schätze lagern wird. Als letzten Schritt errichtet er einen Zaun um die Hütte. So erlangt er nach und nach Kontrolle über seine Angst und kann sich neuen Aufgaben stellen. Da klingelt es an seiner Tür… 

Wie viele andere geflüchtete Jugendliche fühlt Dimitri (Name geändert) sich oft einsam. Es fällt ihm schwer, Kontakte zu knüpfen und sich mit Gleichaltrigen zu vernetzen. Im März startete ein neues Pilotprojekt: vier ukrainische Jugendliche aus verschiedenen Einrichtungen in Mecklenburg-Vorpommern hatten Gelegenheit, in Begleitung eines zugeschalteten Therapeuten während fünf Sitzungen in dem online-Spiel Minecraft Education Kontakte zu knüpfen, innere Ressourcen zu finden und ihre Kreativität und Stärken auszudrücken. In dem Projekt schaffen sie sich die eigene Spiel-Welt als einen sicheren Ort, wo sie sich anhand gestellter Aufgaben selbst erforschen und für den Alltag zu wappnen. Die Spielwelt und die reale Welt werden mittels „analoger“ Quiz- und Kreativaufgaben sowie Fragebögen verknüpft.  

„Dieses Projekt soll den Jugendlichen helfen, ihre eigene Stärke wiederzuentdecken und in einem sicheren, anonymen Rahmen mit anderen in Austausch zu treten“, beschreibt Anastasiia Lotysh, psychologische Mitarbeiterin im Team Mentale Gesundheit, das Ziel des Ansatzes. Gemeinsam mit Olga Kaida, ebenfalls Psychologin und Regionalkoordinatorin für Mecklenburg-Vorpommern, begleitete sie den Testlauf Malteser-seitig. Sie beobachteten, dass die Jugendlichen sich nach kurzer Zeit gegenseitig halfen, Häuser zu bauen oder den Weg zu finden. Der Austausch setzte sich sogar in der Schule fort – insofern sei ein Transfer in die analoge Welt gegeben. 

„Die Kinder fühlten sich zunehmend sicherer und haben im Lauf der Sessions angefangen, miteinander zu kommunizieren. Durch die gestellten Aufgaben lernten die, kooperativ und kreativ zusammenzuarbeiten.“, erklärt Oleksii Sukhorukov, Psychologe und Gründer von HealGame Ukraine, der die Kinder und Jugendlichen während ihres Spiels begleitete. Er  analysierte unter anderem, welche Farben, Materialien und Architektur die Kinder nutzen.  

Die Jugendlichen haben den Prozess sichtlich genossen – sie konnten sich ausdrücken, zusammenarbeiten, lernen und Spaß haben. Das Projekt bot ihnen nicht nur einen sicheren Raum für Kreativität und soziale Interaktion, sondern auch wertvolle Impulse zur persönlichen Entwicklung, resümieren die Psycholog*innen. Den Rückmeldungen der Teilnehmenden und Eltern lasse sich entnehmen, dass die Kinder in ihrem Selbstvertrauen gestärkt, in der sozialen Entwicklung und emotionalen Entfaltung gefördert werden. Dies könne etwa durch Beobachtungen von Veränderungen in ihrem Verhalten festgestellt werden: Sie lächelten mehr, fingen an, miteinander zu sprechen, boten einander Unterstützung an und waren stolz auf das, was sie erschaffen haben – das Gefühl von Selbstwirksamkeit stellte sich ein.  

Auch aus den teilnehmenden Einrichtungen kam positives Feedback: „Es war nicht einfach in der Vorbereitung, aber ich bin sehr froh und stolz, an dieser Pilotphase teilzunehmen! Ich nehme ein wachsendes Interesse bei den Jugendlichen wahr,“ so etwa Yuliia Pityk, Teamleitung der Betreuung in Graal-Müritz. Fazit: Trotz mancher technischen Herausforderungen ein spannender Ansatz, den es sich lohnt, weiterverfolgen! 

Erzähl doch mal von… deiner Geschichte in Deutschland!

Seit nunmehr fast drei Jahren tobt der Krieg in der gesamten Ukraine und immer mehr Menschen, deren Weg nach Deutschland geführt hat, sehen ihre Zukunft hier. Unsere ukrainischen Kolleginnen haben sich in der Community umgehört und sehr schnell herausgefunden, was benötigt wird.

Phase eins: Am Anfang war der Schock. Von der Entscheidung, die Ukraine zu verlassen bis zur Ankunft im fremden Deutschland vergingen oft nur wenige Tage. Die Zeit darauf war geprägt von Unsicherheit, dem Wunsch nach Rückkehr und Dauerstress.

Phase zwei: Es gilt, Traumata und Verluste in hohem Tempo zu verarbeiten. Das Gefühl, sich vom vorherigen Leben verabschieden zu müssen, kommt schmerzhaft durch. Einzige Kontante: der Stress.

Phase drei: Die Suche nach dem neuen „Ich“ im neuen Land beginnt: Akzeptanz der Situation, aktive Integration ins neue Umfeld, Berufsanerkennung, Arbeitssuche, neue Kontakte knüpfen, Vernetzung. Da sind wir jetzt.So oder so ähnlich würde Anastasiia Lotysh, psychologische Mitarbeiterin / Public Health im Projekt Mentale Gesundheit, den Weg ihrer Landsleute nach Deutschland, der gespickt ist von tausenden Einzelschicksalen, Leidens- und Familiengeschichten, in einem Vortrag beschreiben. Sie und Olga Skarzhevska, ebenfalls psychologische Mitarbeiterin, haben durch Umfragen erkannt: es gibt Gemeinsamkeiten, und da können, da müssen wir ansetzen. Die Marke „Erzähl doch mal von…“ war bald geboren. Das Konzept ist so einfach wie genial: Menschen, die auf ihrem Weg nach und in Deutschland vorangeschritten sind, erzählen von ihren Erfahrungen, machen Mut, geben Tipps. Vor allem aber zeigen sie: es ist möglich!

Anastasiia Lotysh und Olga Skarzhevska, psychologische Mitarbeiterinnen / Public Health im Projekt Mentale Gesundheit

Berufliche Perspektiven und die besonderen Herausforderungen für Frauen

Nach den wichtigsten Bedarfen haben sich zwei Stränge im Projekt gebildet: die Frage nach beruflichen Perspektiven und die besonderen Herausforderungen für Frauen und Mütter. Entsprechend entwickeln die Kolleginnen laufend digitale Veranstaltungsreihen für beide Themenbereiche und nutzen dabei ihr immenses internationales Netzwerk. „Indem die Referent*innen mit demselben kulturellen und Erfahrungshintergrund sprechen, entsteht sofort ein gegenseitiges Verständnis und Vertrauen. Deswegen funktioniert das Format so gut“, bewertet Anastasiia Lotysh den Erfolg mit bislang über 1.000 Teilnehmenden in fünf Terminreihen. Themen sind verschiedene Berufsbilder, Ausbildungswege und immer wieder die Anerkennung von mitgebrachten Berufsabschlüssen. Neben zahlreichen Berichten aus der Praxis steht eine Jobcoachin regelmäßig Rede und Antwort. 

Es sind vorrangig Frauen, die aus der Ukraine geflohen sind, viele von ihnen mit Kindern, die sie nun praktisch allein erziehen. Die vielfältigen Belastungen, die das mit sich bringt, greift Olga Skarzhevska mit ihren Referentinnen auf. Sie alle sind Psychologinnen und die meisten haben Erfahrung in der „erzwungenen Emigration“, wie sie es treffend formuliert. Entlang der oben beschriebenen Phasen ändern sich die Themen. „Anfangs ging es stark um die temporäre Adaption an die neue Umgebung und die Frage, wie ich das mit meinen Kindern schaffen kann. Inzwischen liegt der Fokus auf Beziehungen: solchen, die ich trotz langer Trennung stärken möchte –solchen, die beendet werden müssen – und dem Knüpfen neuer Beziehungen hier“, legt Olga Skarzhevska dar. Irgendwie gelingt es ihnen, im digitalen Setting einen Raum der Vertraulichkeit entstehen zu lassen, in dem persönliche Gespräche möglich und heilsam sind. Eine Erfahrung, die sie ermutigt, nun auch digitale therapeutische Gruppen für Frauen einzurichten. Und die zeigt: es ist möglich!

Reaktionen von Teilnehmer*innen

"Das sind alles fantastisch nützliche Informationen, vielen Dank! Vor dem Hintergrund der vielen absolut theoretischen Informationen sind Ihre praktischen Ratschläge von unschätzbarem Wert. Ich bin seit fast zwei Jahren bei Ihnen, Ihre Webinare sind sehr informativ, ich empfehle sie immer an meine Freunde weiter und danke Ihnen!"

Teilnehmerin

"Die Gruppe hat mir geholfen, meine Emotionen besser zu verstehen und mit ihnen umzugehen. Es ist ein sicherer Raum, in dem ich mich öffnen und Unterstützung finden kann. Ich bin dankbar für diese Möglichkeit, Kraft zu schöpfen und mich mit anderen Frauen zu verbinden."

Teilnehmerin

"Es ist großartig, was Sie tun, wirklich inspirierend und anregend. Normale Menschen mit ihren eigenen Geschichten, die ihre eigenen Erfahrungen teilen, sind unschätzbar."

Teilnehmerin